Ehrenschutz des Staates
Guido Westerwelle konnte 2011 nicht ahnen, dass seine Befürchtungen schon bald Wirklichkeit würden.
So musste erst das Verfassungsgericht der staatlichen Willkür Einhalt bieten.
Hier der maßgebliche Text aus dem Urteil in der Sache des BMZ gegen Reichelt
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch im Sinne von §93c Abs.1 Satz1 BVerfGG offen-
sichtlich begründet.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings der Ausgangspunkt des Kammergerichts, wo-
nach juristischen Personen des öffentlichen Rechts zivilrechtlicher Rechtsschutz gegen
herabsetzende Äußerungen lediglich in eingeschränktem Umfang eröffnet ist, und wo-
nach die rechtliche Beurteilung von Äußerungen maßgeblich von ihrem Sinngehalt und
ihrer Einordnung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung abhängt.
aa) Dem Staat kommt kein grundrechtlich fundierter Ehrenschutz zu. Während in Fäl-
len, in denen sich die Meinungsfreiheit des Äußernden und das allgemeine Persönlich-
keitsrecht des von der Äußerung Betroffenen gegenüberstehen, die Feststellung einer
rechtswidrigen Verletzung regelmäßig eine ordnungsgemäße Abwägung zwischen der
Schwere der Persönlichkeitsbeeinträchtigung durch die Äußerung einerseits und der
Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits voraus-
setzt (vgl. BVerfGE 61, 1 <8 ff.>; 85, 1 <14 ff.>; 93, 266 <293 ff.>; 99, 185 <196 ff.>; 114,
339 <348>; 152, 152 <186 f. Rn. 80 f.>), hat der Staat grundsätzlich auch scharfe und po-
lemische Kritik auszuhalten. Die Zulässigkeit von Kritik am System ist Teil des Grundrech-
testaats (vgl. BVerfGE 93, 266 <292 f.>; Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom
15. September 2008 - 1 BvR 1565/05 -, Rn. 13; vom 28. November 2009 - 1 BvR 917/09
-, Rn. 24).
Zwar dürfen grundsätzlich – wie sich ausweislich § 194 Abs. 3 Satz 2 StGB etwa in der
Schutznorm des § 185 StGB niederschlägt – auch staatliche Einrichtungen vor verbalen
Angriffen geschützt werden, da sie ohne ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Akzep-
tanz ihre Funktion nicht zu erfüllen vermögen (vgl. BVerfGE 93, 266 <291>; 124, 300
<332 ff.>). Ihr Schutz darf indessen nicht dazu führen, staatliche Einrichtungen gegen öf-
fentliche Kritik – unter Umständen auch in scharfer Form – abzuschirmen, die von dem
Grundrecht der Meinungsfreiheit in besonderer Weise gewährleistet werden soll, und
der zudem das Recht des Staates gegenübersteht, fehlerhafte Sachdarstellungen oder
diskriminierende Werturteile klar und unmissverständlich zurückzuweisen (vgl. BVerfGE
148, 11 <30 Rn. 59>; 154, 320 <338 Rn. 52>; 162, 207 <232 Rn. 79>). Tritt der Zweck, die
öffentliche Anerkennung zu gewährleisten, die erforderlich ist, damit staatliche Einrich-
tungen ihre Funktion erfüllen können, in einen Konflikt mit der Meinungsfreiheit, er-
langt der Einfluss von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG daher gesteigerte Bedeutung (vgl. BVerfGE
28, 191 <202>; 93, 266 <291>). Das Gewicht des für die freiheitlich-demokratische Ord-
nung schlechthin konstituierenden Grundrechts der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 7,
198 <208>) ist dann besonders hoch zu veranschlagen, da es gerade aus dem besonde-
ren Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeu-
tung findet (vgl. BVerfGE 93, 266 <292 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten
Senats vom 28. November 2011 - 1 BvR 917/09 -, Rn. 24; vom 4. April 2024 - 1 BvR 820.